Problematik

Das Wissen als Problem einer Wissenschaft: Scientologie oder Eidologie.

Die Welt steht in der Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinung vor unserem Bewusstsein da, die wir im groben als Dinge, Vorgänge oder Verhältnisse zu unterscheiden pflegen. Unser Gesamtbild der Welt schließt all dieses als seine Einzelheiten, Einzeltümer, als Teilgebilde in sich ein.

Eine Wissenschaft von der Welt sondert sich in so viele Einzelwissenschaften, als sich aus dem Gesamtbild der Welt unter irgendeinem Gesichtspunkt oder nach irgendeinem Plan Teilgebilde herausheben lassen.

Nun ist das Wissen als solches ebenfalls ein Teil der Welt, eine Erscheinung unter den Erscheinungen, eine Teilfunktion im Gesamtbetrieb, im Gesamtsystem der Welt. Weltlich gesehen ist das Bewusstsein eine Teilbeziehung der Wirklichkeit auf unser Hirnsystem.

Die Herausstellbarkeit des Wissens als einer Teil-Erscheinung der Welt lässt die Frage einer Wissenschaft brennend werden, die das Wissen selbst zu ihrem Vorwurf hat. Es entsteht die Herausforderung einer Wissenschaft vom Wissen. Was ist Wissen? Was können, was müssen wir vom Wissen wissen, um der Welt gerecht zu werden? Es handelt sich also um nichts weniger als um eine Selbsterwissung, eine Selbstbestimmung, eine Selbsterkenntnis des Wissens. Ist, und wenn ja, wie ist die Bewerkstelligung einer Wissenschaft vom Wissen möglich?

Mit dieser Frage haben wir das Problem der Scientologie oder Eidologie aufgeworfen.

Die Scientologie oder Eidologie, als eine Wissenschaft vom Wissen selbst, stellt sich ihrer Anlage nach in einem Gegensatz zu den Wissenschaften von den Dingen, die ins Wissen eingehen. Vergegenwärtigen wir uns genauer den durch die Problematisierung des Wissens geschaffenen Tatbestand.

Die Scientologie nimmt sich das Wissen zum Vorwurf. Andererseits hört aber dadurch das Wissen nicht auf, ein Teil, eine Teilbeziehung der Welt zu sein, die der Leib-Seelenstufe der Welt angehörig ist. Mit der Problematisierung des Wissens ist also ein doppelter Einsatz des Wissens gegeben, ist das Wissen in eine doppelte Position gebracht:

Wissen ist als solches eingesetzt, in seinem Gegensatz zur Welt (wie sich noch ergeben wird), als Faktor Produzent, Schöpfer der Welt, also in einer Aktivrolle.

Da andererseits das Wissen nicht aufhört, ein Teil, eine Teilbeziehung der Welt zu sein, so unterwirft es sich selbst seiner eigenen Aktivität, weist sich damit selbst eine Passivrolle zu, macht sich zum Faktum, Produkt, Geschöpf seiner selbst.

Soll demnach das Bewusstsein in seiner Gänze erfasst werden, so muss auch diesen beiden Positionen des Wissens ihr Recht gegeben werden. Daraus ergibt sich von vornherein eine Einteilung der Scientologie, in eine Wissenschaft von

Bewusstsein in seiner Aktivrolle: reine Scientologie,

Bewusstsein in seiner Passivrolle: angewandte Scientologie.

Erst aus der Zusammenarbeit dieser beiden Positionen, aus der zugleich aktiven und passiven Spontaneität des Bewusstseins, vermag das gesamte System der Scientologie zu erstehen. Denn das Bewusstsein der Wirklichkeit kommt für die Scientologie eben nur als die andere, die Erscheinungsseite des Weltfaktors Bewusstsein in Frage, nicht aber als Teil und Zubehör der Welt. Angewandte Scientologie bricht daher wohl in das sachliche Herrschaftsgebiet der Phänomenologie, in die Welt der Erscheinungen ein, bewahrt sich aber dabei durchaus die Eigenart ihrer Betrachtungsweise. Wie immer angesehen, Scientologie bleibt die Wissenschaft vom Bewusstsein.

Wir gelangen so zu dem Schema:
 

Die Erkennung oder Erwissung der Welt verlangt also ihre Zurückführung auf zwei selbständige Positionen, auf das Bewusstsein, als die Aktivseite und auf die Welt, also die Passivseite. Nur auf dieser doppelten Basis vermag sich das Wissenswerk von der Welt zu erheben. Hingegen beruht jeder Versuch zu einem Unismus der Erkenntnis:

Wissen ist nichts als Welt, Aufgehenlassen des Wissens in der Welt;

Welt ist nichts als Wissen, Aufgehenlassen der Welt in Wissen;

auf Willkür. Nur aus der gleichberechtigten Zusammenarbeit von Wissen als Schöpfer und Welt als Geschöpf kann wahre Wissenschaft von der Welt aufgehen.

Bewusstsein als Mittler zur Welt und Welt als Vermitteltes stehen in gegenseitiger Ergänzung, Komplementarität. Mit jedem Teil ist zugleich der andere mit gesetzt, mit verstanden. Bewusstsein als Produzent setzt Welt, Welt als Produkt setzt Bewusstsein voraus. Aus dieser Sachlage erwächst der Scientologie das Recht, die Welt als zugehöriges Gegenstück, als Zubehör des Bewusstseins zu behandeln und vorauszusetzen, das heißt, auf die weltlichen Gegebenheiten zurückzugreifen, als ob sie selbstverständlich wären. Denn ohne diese weltlichen Zugehörigkeiten bliebe alles Wissen leer und gegenstandslos. Diese Ergänzung und gegenseitige Bedingung von Bewusstsein und Welt ist in der Konstruktion der Welt begründet, muss damit als unvermeidlich hingenommen werden. Daher ist auch eine gegenseitige Voraussetzung der Ergebnisse von Scientologie und Kosmologie gerechtfertigt und einwandfrei. Man kann die zusammengehörigen Teile eines integrierenden Ganzen wohl für sich so behandeln, als ob sie für sich beständig wären. Das kann aber niemals mehr sein als ein Kunstgriff des Verfahrens, eine rein methodische Operation. Die sachlich vorhandene gegenseitige Angewiesenheit der beiden Gebiete wird dadurch in keiner Weise angetastet oder aufgehoben.

Nehmen wir einmal diese Grundeinstellung über das Verhältnis von Wissen und Welt an, so gelangen wir von vornherein zu einem entscheidenden Ergebnis. Ist die Welt ein Geschöpf des Bewusstseins, so werden wir natürlich die Spuren der schöpferischen Tätigkeit des Bewusstseins in der Welt antreffen müssen. Erfahrung und Beobachtung werden uns auf diese Ergebnisse in Gestalt von Wissen, Vorstellungen und Begriffen stoßen lassen. Aber es wäre offenbar eine Voreiligkeit, wenn wir aus der Tatsache, dass die Vorstellungen und Begriffe sich aus der Welt herausholen lassen, schließen würden, dass sie nun auch ihren letzten eigentlichen Ursprung in der Welt selbst hätten. Die Möglichkeit, dass Bewusstsein und Vernunft selbst erst solche Wissnisse und Begriffe in die Welt hineingelegt haben, bleibt immer offen. Wobei freilich immer noch zu untersuchen übrig wäre, ob wirklich und in welchem Umfang Bewusstsein und Vernunft in der Tat die Urheber der weltlichen Begrifflichkeit sind.

Die Aufgabe der Scientologie oder Eidologie ist die Aufrichtung des Systems des Wissens, des Verstehens, des Begreifens überhaupt. Vernunft (hier müssen wir einen Überbegriff in Psychologie und Logik vornehmen) ist in Begriffen systematisierendes Bewusstsein. Begreifen ist systematisches Wissen, Wissen im System. Eine Wissenschaft vom Wissen hebt sich durch ihre Einzigartigkeit aus dem Kreis aller übrigen Wissenschaften heraus.

  • Scientologie, als Wissenschaft vom Wissen oder als System des Wissens, bedeutet Selbsterwissung, Selbstbespiegelung, Selbstsystematisierung, Selbsterfassung, Selbsterkennung des Wissens und des Begreifens.
  • Wissen ist der allgemeine Werkstoff aller anderen Wissenschaften. Folglich ist die Wissenschaft vom Wissen selbst die Schlüsselwissenschaft für das gesamte System der Wissenschaften von der Welt. Alle anderen Wissenschaften von der Welt haben die Wissenschaft vom Wissen zu ihrer Voraussetzung, vermöge der ursprungsmäßigen Abhängigkeit aller Weltheit vom Wissen. Ohne die Ergänzung durch die Scientologie blieben alle unmittelbaren Wissenschaften von der Welt, abstrakte wie konkrete, einseitig, unvollständig, vorurteilig. Jede vermeintliche Autarkie oder Autonomie irgendeiner Wissenschaft von der Welt kann nichts besseres sein, als unkritische Erschleichung oder Selbsttäuschung.


Ein besinnungsloses Denken hat von jeher in der Welt einfach die Gegebenheit gesehen. Wir selbst, unser Wissen und Begreifen seien nur Bestandteile dieser Welt. Aufgabe aller Wissenschaft könnte nichts anderes sein, als diese Welt immer richtiger und immer genauer in allen ihren Einzelheiten zu erforschen und zu beschreiben. Wunschziel einer solchen Weltanschauung ist die restlose Auflösung aller Welt und Wirklichkeit in einen Komplex physikalischer, astronomischer, geologischer, chemischer, biologischer, personologischer und soziologischer Vorgänge. Gegen solche „Dogmatiker, welche meinen, dass, wenn sie nur recht lange geradeaus gingen, sie zu der Welt Ende gelangen würden“, kehrt sich Schopenhauer mit vollem Recht. Denn was geht in Wirklichkeit vor sich: eine Flucht vom Unbekannten ins noch Unbekanntere. Eine nähere Besinnung muss schließlich den Zweifel aufwerfen, ob diese Gleichung: Welt gleich Sein, überhaupt zu Recht besteht, ob nicht doch etwa unser Bewusstsein irgendetwas am Welt-Sein mitzuverantworten hat. Die Frage eines Anteiles des Bewusstseins an der Welt lässt sich jedenfalls nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Ist aber dieser Anteil des Bewusstseins am Weltgebilde nicht in zuverlässiger Weise ausgeschaltet, so muss offenbar jede Wissenschaft von der Welt sich der Erschleichung ihrer Voraussetzungen schuldig machen, die die Vorfrage nach diesem Anteil überspringt. Der Urheberstreit zwischen Wissen und Welt muss eine Klärung finden. Das Problem Kants, Anteil oder Nicht-Anteil unseres Bewusstseins, unseres Verstandes und unserer Vernunft am Gebilde der Welt, steht an der Pforte aller Erkenntnis und aller Wissenschaft.

Bewusstsein, Bewusst-Sein, Welt-Sein

Heben wir einmal das Bewusstsein als einen selbständigen Faktor aus dem Weltganzen heraus, teilen wir dem Bewusstsein eine Eigenrolle gegenüber der Welt zu, so entspricht dem eine Gegenüberstellung von Bewusstsein und Welt.

Das Bewusstsein, das immerhin Teil und Teilgeschöpf der Welt bleibt, ist als ein Weltliches zur Schöpfung aus dem Nichts unbefähigt. Damit das Bewusstsein schöpfen könne, muss es eine Quelle vorfinden, aus der es schöpfen kann, ein Etwas, ein Sein. Das durch das Bewusstsein aus dem Sein gewonnenes Geschöpf wird durch sein Ergriffenwerden vom Bewusstsein zum Sein im Bewusstsein, zum gewussten Sein, zum Bewusst-Sein. Bewusstsein und Bewusst-Sein ergänzen sich zur Welt. In jedem von ihnen beiden steckt Welt, aber Welt in einer anderen Beziehung, einer anderen Rolle. Bewusstsein bringt die Welt in ihrer Schöpferrolle, Bewusst-Sein in ihrer Geschöpfrolle zum Tragen.

Bewusstsein als Schöpfer und Bewusst-Sein als Geschöpf vereinigen sich zum Welt-Sein.

Welt-Sein ist Sein unter dem Gesetz des Bewusstseins; Welt ist Zubehör, Komplement des Bewusstseins. Nur was wissbar ist, geht in Welt ein, das Sein hat nur in der Gestalt des Bewusst-Seins, in der Welt Platz.

Scientologie, Phänomenologie, Kosmologie

Die systematische Stellung von Wissen und Welt, wie sie soeben gezeichnet worden ist, liefert den Grundstein für alle Systematik der Wissenschaft. Es entspricht nämlich: erstens dem Bewusstsein als Wissenschaft, die Scientologie oder Eidologie; zweitens dem Bewusst-Sein als Wissenschaft, die Phänomenologie, drittens dem Welt-Sein überhaupt als Wissenschaft, die Kosmologie.

Phänomenologie ist die Wissenschaft vom Sein im Wissen, vom Sein, wie es gewusst wird oder wie es im Wissen erscheint. Hingegen erfasst die Kosmologie die Welt als Produkt des Wissens, des Bewusstseins, erstreckt sich also zugleich nach der Wissensseite und nach der Seinsseite.

Vermöge der dem Bewusstsein zugewiesenen Stellung erscheint die Scientologie als eine Schlüsselwissenschaft für alle – Phänomenologie und Kosmologie.