Anastasius Nordenholz

Axiomatik

Axiome als Ausgang

Wenn das Problem des Bewusstseins aufgeworfen wird, als das Formensystem des Bewusstseins, das Begriffsystem der Vernunft aufgerichtet werden soll, so wird damit nichts Geringeres angestrebt, als eine Selbsterwissung, eine Selbstbegreifung, eine Selbstbespiegelung der Vernunft. Das, was gesucht wird, die Begrifflichkeit, muss dabei als bereits zu Geboten stehend vorausgesetzt werden. Wenn wir etwas sagen wollen, müssen wir die Sprache zur Verfügung haben; wenn wir etwas begreifen wollen, die Vernunft, das System ihrer Begriffe. Daraus ergibt sich folgende Sachlage: was erst gefunden werden soll, dass muss so behandelt werden, als ob es bereits gegeben wäre. Wir stehen da vor einer Kreisläufigkeit:

  1. Die Systematisierung von Bewusstsein, Vernunft fordert Wissen, Begreifen;
  2. Wissen, Begreifen fordert das System des Bewusstseins, der Vernunft.


Dieses Verhältnis lässt sich in keiner Weise ausschalten, da es im Wesen des Bewusstseins als des Schöpfers der Welt und damit auch des Schöpfers seiner selbst begründet liegt.

Die Gewinnung eines Absprunges, eines Starts aus diesem Zirkel ist nun im Wege eines Machtspruches, eines Zerhauens des Knotens möglich. Das geschieht in Gestalt der Dekretierung eines Erstausganges in Gestalt von Einsetzung von Axiomen.

Axiome sind Begriffe, Sätze, Aussagen, die so eingesetzt werden, als ob sie aus eigener Kraft und Würde dastünden, also einer Bekräftigung oder Bestätigung von anderer Seite weder fähig noch bedürftig wären.

Es soll also keineswegs den Axiomen innere Selbstgewissheit als eine Tatsächlichkeit beigelegt werden. Vielmehr sollen sie nur so behandelt und eingesetzt werden, als ob sie eine solche besäßen.

Die Axiome verdanken ihre Inanspruchnahme der Natur des Problems des Wissens, das wissen will, was es selbst ist. Sie sind damit gewissermaßen Kinder eines Notstandes, können daher nicht mehr zu sein beanspruchen als bloße Vorläufigkeiten, als Notbehelfe. Die Beweispflicht der Axiome ist damit aber nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Die eigenmächtige Konstituierung der Axiome gewährleistet natürlich noch in keiner Weise ihr Zurechtbestehen, besagt aber ebenso wenig, dass ihr Rechtsgrund überhaupt unerweisbar oder unerkennbar wäre, vielmehr nur, dass die Erhärtung ihrer Rechtmäßigkeit aus in der Sache selbst belegenen Gründen von der Hand noch vertagt werden muss.

Axiome werden nicht durch Ableitung oder Zuleitung gefunden, sondern als solche entdeckt. Stecken schon Axiome im Bewusstsein darin, so ist auch die Erwartung nicht verwegen, dass sie sich irgendwie dem Bewusstsein verraten.

Einsatz der Axiome

Die Axiome des Bewusstseins beanspruchen, Ausdruck der selbstgesetzten konstruktiven Bedingungen des Wissens zu sein. Mit dem Wissen selbst teilt alle unsere Wissenschaft dessen letzte Angewiesenheit auf Axiome.

Wissenschaft ist allgemein gesehen ein System von Begriffen; Scientologie im besonderen ist dasjenige System von Begriffen, das dem Bewusstsein entspricht.

Ein System ist ein einheitliches Ganzes aus einheitlichen Teilen — hier müssen wir spätere Ergebnisse unserer Untersuchung bereits als verfügbar voraussetzen.

Die Systematik der Scientologie hat ihren Ausgang von den Axiomen zu nehmen, zu deren Anwendung die Problematisierung des Wissens nötigt. Axiome oder ein System von Axiomen sind der einzig mögliche Ausgang der Scientologie. Das gesamte System dieser Wissenschaft baut sich auf Axiomen auf, trägt axiomatischen Charakter.

Das Axiomen-System des Bewusstseins setzt sich aus den drei Teilaxiomen zusammen:

  1. Axiom der Mediation; Doppelweisigkeit, Immanenz-Transzendenz des Bewußtseins
  2. Axiom der Formation – Weltweisigkeit
  3. Axiom der Individuation – Immanenz des Bewusstseins.


Diesem Axiomen-System wird die Fähigkeit zugeschrieben, das gesamte Begriff-System des Bewusstseins zu tragen und auszutragen. So ergibt sich der weitere Aufbauplan der Scientologie:

  1. Axiomatik: Herausstellung der Axiome und des Axiomensystems des Bewusstseins
  2. Systematik: Aufrichtung des Formensystems des Bewusstseins, des Begriffsystems der Vernunft auf dem Axiomensystem
  3. Apologetik: Rechtfertigung des erbrachten Begriffsystems und damit rückwärts auch des ihm zu Grunde liegenden Axiomensystems
  4. Epistematik: Errichtung des Gesamtsystems der Wissenschaften auf der Grundlage des Wissens- und Begriffsystems der Scientologie.


Das Axiomensystem des Bewusstseins

Das Axiom der Mediation

Das Bewusstsein, als Schöpfer der Welt angenommen, setzt einen Quell voraus, aus dem es zu schöpfen vermag, ein Sein, das irgendwie und in irgendwelchem Maß vom Bewusstsein erreichbar ist, das aber selbst vor und unabhängig vom Bewusstsein da ist. Die Voraussetzung einer Schöpfertätigkeit des Bewusstseins ist abhängig vom Zu-Gebote-Stehen eines selbstursprünglichen, freien, losgelösten, absoluten Seins, eines An-Sich-Seins.

Der Sinn des Axioms der Mediation ist: Bewusstsein schiebt sich als Mittler, Vermittler, Schöpfer zwischen ein An-Sich-Sein und ein von ihm vermitteltes Sein. Das Sein, wie es ins Wissen eingeht, wie es gewusst wird, ist das Bewusst-Sein. Mediation lässt das Bewusst-Sein zur Kreatur des Bewusstseins werden. Das Bewusstsein zeigt sich also in einer Doppel-Beziehung: An-Sich-Sein <- Bewusstsein -> Bewusst-Sein. Das Sein tritt nicht von selbst, sondern nur vermittelt durch das Bewusstsein in Erscheinung.

Das Sein im Wissen, das Bewusst-Sein, ist also das Geschöpf des Bewusstseins.

Das Maß, in dem Vermittlung und Schöpfung dem Bewusstsein gelingen, ist abhängig von der ihm innewohnenden Schöpferkraft. Da diese, wie alles Weltliche, begrenzt ist, so kann auch die Schöpfung des Bewusstseins nur unvollständig und unvollkommen ausfallen – das erhellt von vornherein. Das Bewusst-Sein deckt sonach nicht das An-Sich-Sein, ist nicht Eins mit ihm, es gibt vielmehr das An-Sich-Sein nur nach eigener Maßgabe und unter den eigenen Bedingungen wieder. Zwischen An-Sich-Sein und Bewusst-Sein klafft Diversität; das Bewusst-Sein ist nicht mehr als ein Surrogat des An-Sich-Seins. Da das An-Sich-Sein schlechterdings außerhalb des Wissens bleibt, so lässt sich darüber mit den Mitteln des Bewusstseins gar nichts ausmachen. Wir müssen uns mit der negativen Feststellung begnügen, dass das An-Sich-Sein das ungewusste und unwissbare, das unbegriffene und unbegreifliche Sein ist.

Das Sein überhaupt gliedert sich unter dem Einspringen des Bewusstseins:

  1. Bewusst-Sein, Geschöpf des Seins;
  2. An-Sich-Sein, Quell alles Seins.


Das Axiom der Mediation weist somit nicht nur auf die Welt-Seite, sondern auch auf die Nicht-Welt-Seite des Seins hin; insofern ist es Ausdruck der Transzendenz des Bewusstseins.

Nach dieser Auffassung ist Welt das durch das Bewusstsein hindurchgegangene, das wissengeschöpfte Sein. Welt steht als Schöpfung da, Bewusstsein als Schöpfer, Bewusst-Sein als Geschöpf.

Das Axiom der Formation oder Spezifikation

Das Bewusstsein bildet die Vermittlung vom Sein zur Welt. Die eine Seite der Betätigung des Bewusstseins wird also durch seine Weltweisigkeit gekennzeichnet. In diesem seinem Hinweis auf Welt, in seiner Immanenzbeziehung drückt das Bewusstsein der Welt, dem Welt-Sein sein Sondergepräge auf, macht es zum Bewusst-Sein.

In der Immanenz und Transzendenz des Bewusstseins ergänzen sich die beiden Seiten seiner weltschöpferischen Rolle.

Die nähere Bestimmung der Besonderheit, die das Bewusstsein dem Sein erteilt, wird durch die beiden Axiome der Immanenz, durch das Axiom der Formation (Spezifikation) und das Axiom der Individuation erbracht.

Das Bewusstsein bemächtigt sich des Seins, indem es das Sein in seine Form einbezieht, also durch Formung, Einformung. Mit dem Bewusstsein ist die Form gesetzt, die dem Sein aufgeprägt wird. Das will das Axiom der Formation besagen.

Sein in Form ist ganz und gar nicht ein und dasselbe, wie ursprüngliches Sein. An die Stelle des Seins an sich ist ein Sein im Bilde, ein Abbild des Seins getreten. Das Sein sieht sich durch sein bildmäßiges Gegenstück ersetzt. Wir können daher das Axiom der Formgebung auch als das Axiom der Spezifikation[1] bezeichnen, das Axiom der Gebildung, der Einbildung, der Verbildung. Das Bewusstsein bildet das Sein ab, setzt es ins Bild, macht es zum Sein im Bilde. Welt wird gewissermaßen zur Bildergalerie des Seins.

Formation oder Spezifikation setzt voraus:

  1. die Fähigkeit des Bewusstseins zur Einformung oder zur Ins-Bild-Setzung des Seins
  2. die Geneigtheit des Seins zur Annahme der Formheit oder Bildlichkeit des Bewusstseins.

 

Das Axiom der Individuation [2]

Form und Formung, Gebilde und Gebildung stellen den Gegensatz zum Ungeformten, zum Gestaltlosen dar.

Form und Gebilde bedeuten im groben gesehen:

  1. ein Auseinander, eine Trennung, Absonderung, Absetzung, dergestalt, dass gesonderte Ganze gegen Ganze stehen, im Gegensatz zu dem Ineinanderverlaufenden, Kontinuierlichen
  2. ein Zusammen, eine Verbindung, Zusammensetzung von Teilen zu Ganzen, im Gegensatz zum Zusammenhanglosen, Isolierten.


Ein Auseinander — Zusammen von Etwas ist in doppelter Weise möglich:

  1. als regel- und gesetzloses, beliebiges Zusammenkommen und Auseinandergehen, dann entsteht und vergeht ein bloßer Haufen, ein Haufwerk, ein Konglomerat
  2. als Verbindung und Trennung nach einem Ordnungsprinzip oder -gesetz.


Das Axiom der Individuation behauptet nun, dass Form und Formung, Gestalt und Gestaltung unseres Bewusstseins unter einem Ordnungsgesetz stehen, und dass dieses Gesetz eben die Individuation ist.

Individuation bedeutet:

  1. alle sich gegeneinander absetzenden Gebilde unseres Bewusstseins sind als Ganze Individuen, sind individuelle Ganze
  2. alle sich zum Ganzen untereinander vereinigenden Teile sind in sich ebenfalls Individuen, individuelle Teile des Ganzen.


Formung und Gestaltung, denen unser Bewusstsein das Sein unterwirft, unterstehen dem Gesetz der Individuation. Form und Gestalt des Bewusstsein-Seins bedeuten individuelles Ganzes aus individuellen Teilen sein.

Ein Individuum ist ein integrierendes Ganzes, ein zusammengehöriges System einander ergänzender Teile. Mit dem Zerfall in seine Teile geht das Individuum als solches verloren. Die Teile vermögen auch in ihrer Vollzähligkeit nicht das individuelle Ganze zu ersetzen. Daraus ergibt sich die Bestimmung: Individualität besitzt ein Gebilde, das nicht geteilt werden kann, ohne seine Eigenart einzubüßen. Das Ganze des Individuums lässt sich nicht aus der Summe seiner Teile, die Teile lassen sich nicht aus dem individuellen Ganzen ableiten.

Das Axiom der Individuation setzt die Individuation als das Ordnungs-Prinzip der Form an. Also nicht (die Formen) Raum und Zeit sind die principia individuationis (Schopenhauer), sondern umgekehrt: alle Formheit, also auch Raum und Zeit, sind dem Prinzip Individuation untertänig.

Ist Individuation das allumfassende Prinzip der Formung und Gestaltung, so folgt daraus, dass alle Gemenge, Gemische, Gehäufte, alle Akkumulationen der Welt sich letztlich in Individuen auflösen lassen müssen. Damit werden aller Betrachtung und Wissenschaft, die sich bloße Haufwerke aus dem Weltgebilde heraussucht, der Stempel der Vorläufigkeit aufgeprägt.

Das Axiomen-System ist als Ausgang aller Begrifflichkeit des Bewusstseins und seiner Welt in Anspruch genommen. Es soll, wenn man so sagen will, den Erfindungsgedanken unserer Welt darstellen.

Weltung soll Schöpfung auf Grund des Axiomen-Systems sein, so dass wir sagen können: die Welt des Bewusstseins ist, das durch das Bewusstsein vermittelte, geformte (spezifizierte) und individuierte Sein.

Das Axiomen-System hat die Grundlagen für die Eigenart und Eigenbestimmung der Welt des Bewusstseins zu liefern. Erscheinung ist nach ihrer Art und Weise und nach ihrem Grad abhängig von Art und Weise und Grad des Bewusstseins selbst und seines Axiomen-Systems („Anderen Wesen mögen die Dinge anders erscheinen“, Kant). Die Einheit des Axiomen-Systems verbürgt die Einheit der Gesamtbegrifflichkeit der Vernunft, die ohne dies System der letzten Einheit und Ordnung entbehren würde.